Naturschutz als Landschaftsgärtnerei

Natursch¨¹tzer m¨¹ssen lernen, die ?kologische Landschaft von morgen zu gestalten statt einer verlorenen Natur nachzutrauern. Daf¨¹r kann die Landschaftsg?rtnerei als Vorbild dienen.

Vergr?sserte Ansicht: Künstliche Inseln im Reuss-Delta, Vierwaldstättersee.
Die k¨¹nstlichen Inseln im Reuss-Delta, Vierwaldst?ttersee, sind f¨¹r Flora und Fauna wertvoll. Sie wurden mit Aushub aus dem Gotthard-Basistunnel aufgesch¨¹ttet. (Bild: Reussdelta.ch)

Klimawandel, Zersiedelung, Artensterben: In 50 Jahren werden die Schweizer Landschaften nicht wiederzuerkennen sein. Natursch¨¹tzer tun sich mit solchen Ver?nderungen schwer. Sie tr?umen von vergangenen Zeiten: von menschenleerer Wildnis oder traditioneller Kulturlandschaft wie im 19. Jahrhundert. Das ist gef?hrlich. Wer die Landschaften von Morgen mitgestalten will, muss wagen, diese neu zu denken.

Von Landschaftsarchitekten lernen

Seit einem Jahr arbeite ich als ?kologe im Bereich Landschafts-architektur. Der Perspektivenwechsel tut gut. Der Naturschutz kann von Gestaltern und G?rtnern lernen, neue Landschaften zu erfinden, diese zu visualisieren und ihr Potenzial anhand von Pilotprojekten zu illustrieren. In diesem Jahr habe ich f¨¹r mich den Naturschutz als Landschaftsg?rtnerei entdeckt. Das hat mich zu einem neuen Leitmotiv inspiriert. Es heisst ?Biodiversit?t wagen? [1] und bedeutet f¨¹r mich Folgendes.

Neue Natur schaffen

Das Naturentwicklungsgebiet Oostvaardersplassen.
Oostvaardersplassen: ein Naturentwicklungsgebiet unweit von Amsterdam. (Bild: Wikimedia / GerardM)

Statt verlorene Natur zu bedauern, sollten wir die ?kologischen Landschaften der Zukunft lustvoll neu erfinden. Ein Beispiel ist das Oostvaardersplassen Naturreservat ?stlich von Amsterdam. Mitten in der Siedlungslandschaft entstand auf 56 Quadratkilometern ein St¨¹ck neue Natur: von Vergangenem inspiriert, aber vom Menschen designt. Eine Ponyart ersetzt das verschwundene Wildpferd; eine ausgewilderte Rinderart grast anstelle des ausgestorbenen Auerochsen. Seeadler, Fischadler, Silber- und Purpurreiher haben sich selbstst?ndig wieder angesiedelt.

An die positive Kraft des Menschen glauben

Der Bagh-e Eram Park im iranischen Schiras.
Der Bagh-e Eram ist ein persischer Garten im iranischen Schiras. (Bild: Wikipedia / Pourhassan)

Im traditionellen Naturschutz gilt der Mensch als St?rfaktor. In Zukunft werden jedoch viele seltene Arten und wertvolle ?kosysteme nur dank der Pflege des Menschen ¨¹berleben. Mich faszinieren die alten persischen G?rten. Mitten in den kargen Halbw¨¹sten des heutigen Irans schufen G?rtner vor ¨¹ber 2000 Jahren mit ausgekl¨¹gelten Bew?sserungssystemen k¨¹hle und gr¨¹ne Oasen voller bet?render D¨¹fte. Wer w¨¹rde lieber in der trockenen Hitze der nat¨¹rlichen Natur statt im Schatten von Zypressen, Orangenb?umen und Dattelpalmen sitzen?

Das Unvorstellbare greifbar machen

Die High Line in New York.
Park auf der Hochtrasse: die New Yorker High Line. (Bild: Flickr / David Shankbone)

Als empirischer Wissenschaftler weiss ich: Innovationen lassen sich nicht planen. Sie entstehen vielmehr durch kreatives Ausprobieren. Die High Line in New York City, eine ¨¹ber zwei Kilometer lange, stillgelegte Bahnlinie auf einer Hochtrasse mitten in Manhattan, war bereits dem Abbruch geweiht. Dank einer B¨¹rgerbewegung entstand stattdessen ein erh?hter, langgezogener Park, naturalistisch bepflanzt vom Holl?nder Piet Oudolf. Heute ist die High Line eine der wichtigsten Attraktionen der Stadt. Die gr¨¹ne Ader hat ganze Quartiere belebt. Was einst undenkbar war, scheint nun unverzichtbar.

Grosses wagen

In der Schweiz ist schon viel gut funktionierende Natur zerst?rt. Wir werden Grossprojekte ben?tigen, um diese zu ersetzen. Ein Beispiel sind die schwindenden Best?uber-Habitate: In weiten Teilen der Agrarlandschaft k?nnen Honigbienen und wilde Best?uberinsekten kaum mehr ¨¹berleben, weil die Monokulturen ¨¹ber das Jahr verteilt zu selten bl¨¹hen. Es braucht umfassende Investitionen, damit die Kulturlandschaften wieder ganzj?hrig einen Lebensraum f¨¹r Insekten bieten. F¨¹r solche Projekte braucht es Mut und eine gemeinsame Vision, wie wir dies von Infrastrukturprojekten wie der Neat kennen.

Ideen sammeln

Ende November beginnen die langen, gem¨¹tlichen Winterabende. Wer G?rtnerb¨¹cher liest, merkt schnell: Der Winter ist nicht verlorene Zeit. Er bietet Gelegenheit zum Ideen Sammeln und Tr?umen. [2] N?chsten Fr¨¹hling k?nnen wir beginnen, die zuk¨¹nftige Schweizer Landschaft artenreich und ?kologisch wertvoll zu gestalten.

Weiterf¨¹hrende Informationen

[1] Ausf¨¹hrlicher hier: Kueffer, C. 2016. Biodiversit?t wagen. Neue Ans?tze f¨¹r den Naturschutz im Zeitalter des Anthropoz?ns. In: ILF (ed.). Landschafts- und Freiraumqualit?t im urbanen und periurbanen Raum. Bern: Haupt Verlag, S. 74-87. externe SeiteLink

[2] Inspiration findet man zum Beispiel in ?externe SeiteNatur schaffen? von Gregor Klaus und Nicolas Gattlen (Haupt Verlag, 2016).

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